SEX

Tagesabschnittsgefährten

Text: Paul Schulz

Anonymer Sex kann vieles sein: Freizeitspaß oder Doppelleben,Waldluft oder Poppers-Aroma, selten oder Sucht. Auf ins Unbekannte

Sommer. Nachts im Park. Ein sachter Wind weht, der Mond dämmert durch Milchglaswolken, eine Nachtigall singt ihr spätes Lied. Und in den Büschen stöhnen die Jungs. Namen? Überflüssig. Augenfarbe? Muss man nicht erkennen.

„Wer ist das, mit dem du da Sex hast?“ „Mein Tagesabschnittsgefährte. “ „Wo wohnt der?“ „Ist doch egal. Viel wichtiger ist doch:Wie riecht der, wie schmeckt der, wie fasst der sich an, wie fasst der mich an. “ „Wer ich bin? Was soll das? Interessiert kein Schwein. “ „Liebe? Darum geht’s nicht, hier wird gefickt, Baby. “

Und genau so ist das. Anonym heißt Sex, reduziert aufs Wesentliche. Ficken, Wichsen, Blasen. Die Heterowelt beneidet die schwulen Jungs um den unkomplizierten Umgang mit den eigenen Bedürfnissen. „Wenn es in einer deutschen Stadt einen Park gäbe, in dem nachts sexbereite Frauen rumliefen, müsste man eine neue Autobahnabfahrt bauen“, schrieb Max Goldt schon Anfang der 1990er. Der Homo kommt manchmal auch mit dem Fahrrad oder zu Fuß.

Und natürlich nicht nur in den Park: Darkrooms werden in vielen Kneipen und Discos so selbstverständlich bespielt wie Flipperautomaten. In die schwule Sauna gehen 99% der Gäste nicht nur wegen der Gesundheit, und Sex auf Bahnhofsklos oder Parkplätzen gehört für viele zum Standardprogramm. Und wer ist schuld an dem hedonistischen Treiben? Heteros, wer sonst.

Denn noch vor 100 Jahren war es für Schwule eher Notwendigkeit als zusätzlicher Kick, beim Sex anonym zu bleiben und es an dunklen, abgeschiedenen Orten zu tun:Wären Namen ausgetauscht worden und die Sicht gut gewesen, hätte man wieder erkannt und „zur Verantwortung gezogen“ werden können.

Was für Homos jahrhundertelang galt und in weiten Teilen der Welt auch heute noch von trauriger Aktualität ist, stimmt für den gelegentlichen Besuch braver Hetero-Männer auf wilden Homoklappen erst recht:Anonymer Sex ist Sex ohne weitere Verpflichtungen, nicht mal sich selbst gegenüber. Nach dem Kommen geht’s zurück zu Frau und Kindern.

Dass die Schwulen diese Unverbindlichkeit im Rahmen der Emanzipation zum Lustprinzip erhoben haben, stößt auch in der Community selbst auf geteiltes Echo.

Weiter in DU&ICH EXTRA Nr. 10

Sex-Autor und DU&ICH-Chefredakteur Dirk Ludigs schreibt an dieser Stelle Monat für Monat über schwulen Sex und beantwortet deine Fragen!

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