SEX

Mal Nein sagen

Enthaltsamkeit ist nicht nur etwas für Ordensbrüder, sondern ermöglicht uns vielleicht, herauszufinden, was wir sexuell wirklich wollen

Ist weniger mehr oder ist mehr mehr? Die Sache mit der Enthaltsamkeit und wie ratsam ist sie?

„Mir reicht’s! Ich habe genug!“, schimpft mein lieber Freund Dieter. Da er ein sehr impulsiver Mensch ist, hat das erst einmal nichts zu bedeuten, ich frage dennoch nach:

„Was reicht denn diesmal?“ Er berichtet von seinem Wochenende. „18 Jungs in zwei Tagen, “ da staune selbst ich. „Nun ja“, schränkt er ein, „ich habe nicht jedes Mal abgespritzt, so viel Sellerie oder Austern könnte ich nicht essen, aber erst war ich in dem einen Lederladen, dann in dem anderen Bums-Schuppen und schließlich in der Sauna. “

Bei so einer Tour kommt schon einiges zusammen. Ich nickte wissend. – „Und hinterher fühlte ich mich leer. “ „Ob es an der falschen Sexualpraktik lag?“, sinniere ich frech. –„Blödsinn, ich meine nicht diese Art von Leere. Ich fühlte mich innerlich leer. So abgenutzt. “

„Bei fast 20 Kerlen würde ich mich auch abgenutzt fühlen“, grinse ich und werde sofort wieder ernst, denn ich spüre, dass ihm das Thema am Herzen liegt. „Und was willst du jetzt tun?“, frage ich, „enthaltsam leben?“ Er nickt:„Ja, warum nicht. “

Vor meinem geistigen Auge sehe ich, wie Dieter eine Mönchskutte überwirft und seine kurzen Haare zu einer topmodischen Tonsur schert. „Ich hätte da noch ‘ne Peitsche übrig, wenn du was zum Geißeln brauchst. “ „Du nimmst mich nicht ernst“, beschwert sich mein Freund. – „Ich bitte dich, Enthaltsamkeit, das ist doch . . . “, ich suche nach einem Wort. „Uncool? Altmodisch? Langweilig?“, schlägt er vor. Ich nicke:„Ja, das alles. “ „Wer sagt das denn? Ich will ja nicht ins Kloster eintreten und der Welt entsagen. “ Wir wechseln das Thema.

Später denke ich über „Enthaltsamkeit“ nach. Da steckt schließlich das Wort „halten“ drin, „Haltung bewahren“ fällt mir spontan ein, „einen Halt haben“. So schlecht scheint Enthaltsamkeit vielleicht doch nicht zu sein. Ich erinnere mich an Kindertage. Damals hatte ich nicht genug Geld, um mir, wann immer mir die Lust danach stand, Süßes zu kaufen. Meine Eltern überschütteten mich auch nicht mit Schokolade. Wenn es denn mal eine Tafel gab, dann war das was Besonderes. Ich habe sie dann mit Genuss gegessen und nicht so beiläufig wie heutzutage.

Ob das bei Männern auch so ist? Kann man jedem Mann mit Genuss begegnen, wenn es 18 am Wochenende sind? Wie groß ist der Spaß wirklich, wenn man eigentlich in Gedanken schon beim nächsten ist? Wie geil ist es tatsächlich, wenn man nur „höher, schneller, weiter“ denkt?

Weiter in DU&ICH Nr. 411

Clemens Glade

Clemens Glade, Journalist, Buchautor und NLP-Coach, schreibt seit vielen Jahren über Sexualität.

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